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Siggi-s - Ein himmlischer Irrtum
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Ein himmlischer Irrtum  

Ich ging durch die Hölle. Links und rechts von mir wurden die Leiber reueloser Sünder malträtiert. Es war unangenehm heiß und in der Luft lag ein widerwärtiger Schwefelgestank. Ich bahnte meinen Weg durch die schlecht beschilderten Gassen auf der Suche nach Samiels Büro. Ich kannte mich hier unten schon ein wenig aus, denn obwohl ich nicht gern hier war, war es doch ab und zu notwendig. Schließlich verlangt eine so schwere Aufgabe wie die Verteilung der Seelen auch ein wenig Kooperation zwischen den Mächten des Himmel und der Hölle.


Um mich herum konnte ich die Schreie der Seelen vernehmen, die bei dieser Verteilung hier unten gelandet waren. Die meisten waren natürlich zu recht hier, aber manchmal schleicht sich eben doch ein kleiner Fehler ein. Das ist bei solchen Mengen an Menschen, die täglich sterben, kaum vermeidbar. Deswegen war ich auch im Moment auf dem Weg zu Samiel. Er war für den Papierkram in der Hölle zuständig, weil er der gelehrteste hier ist. Man nennt ihn ja auch nicht umsonst den Genius des Bösen. Er ist auch der einzige von den Gefolgsleuten Satans, mit denen ich je zu tun hatte. Ehrlich gesagt könnte ich auch auf seine Gesellschaft verzichten, aber was tut man nicht alles, um jede Seele richtig einzuordnen.

Samiels Büro lag in einer recht dunklen Sackgasse. Scheinbar verzichtete man in dieser Ecke auf das übliche Höllenfeuer, um zu verhindern, dass die ganzen Akten in dem Büro in Flammen aufgingen.

Ich klopfte an die Tür und öffnete sie, ohne eine Antwort abzuwarten. Samiel war gerade damit beschäftigt, die Körper zweier junger, leichtgekleideter Frauen auszupeitschen, die unter den dadurch verursachten Schmerzen laut aufschrien, was Samiel scheinbar Freude bereitete. Für gewöhnlich lassen die im Jenseits ankommenden Seelen ihre sterblichen Hüllen auf der Erde zurück, aber hier erhalten sie wieder neue Körper, da man sie so beispielsweise besser foltern kann, wie Samiel in diesem Augenblick wieder einmal demonstrierte.

Als er mich bemerkte, blickte er mich mit einem bösen Funkeln in den Augen an. Er wird nicht gerne bei seiner Arbeit gestört. Das wusste ich von früheren Begegnungen mit ihm. Da ich aber rein geschäftlich hier war, was er natürlich wusste, befahl er den beiden Frauen: „Geht raus und lasst euch irgendwo anders foltern!“

Diese gehorchten prompt und verließen das Büro, sichtlich erleichtert, so zumindest für ein paar Momente von den Qualen ihrer Folter befreit zu sein.

„Was gibt’s denn, Petrus?“

„Uns ist mal wieder ein bedauerlicher Irrtum unterlaufen.“

„Ach, herrje, das kommt aber in letzter Zeit häufig vor. Könnt ihr euch vor lauter Halleluja dort oben nicht mal auf eure Arbeit konzentrieren?“

„Doch schon, aber selbst wir sind nicht frei von Fehlern. Außerdem leben auf der Erde immer mehr Menschen, was bedeutet, dass es auch immer mehr Tote gibt, die verwaltet werden müssen. Und Gott weigert sich strikt, neue Angestellte einzustellen.“

„Ist ja schon gut. Dieses ewige Geschwätz kostet mich eh nur Zeit. Also komm endlich zur Sache. Um wen geht es denn?“

„Aktennummer 124234-CX-654340-BK.“

Samiel kramte in seinem Aktenschrank und brachte schließlich eine Akte zum Vorschein. Diese studierte er kurz. Dann sagte er zu mir: „Der ist im Moment bei den Glühstangen. Warte, ich bring dich schnell hin, aber trödle nicht wieder so wie das letzte Mal. Du weißt, ich hab noch 'nen Haufen Arbeit zu erledigen.“

Er ging an mir vorbei und verließ sein Büro. Ich folgte ihm. Er schritt zielstrebig an ganzen Reihen von Folterwerkzeugen und –maschinen vorbei, die überall am Wegesrand standen. Die meisten davon waren ständig im Gebrauch, rund um die Uhr. Man durfte den bösen Sündern schließlich keine Pausen gönnen.

Nach einer Weile blieb Samiel stehen und zeigte auf einen Mann. „Das dürfte er sein.“

Der Mann war durchbohrt von mindestens zehn glühenden Eisenstangen, die nun auf Anweisung Samiels von den Folterknechten entfernt wurden.

Ich betrachtete die entstandenen Wunden im Körper des Mannes und sagte, mehr zu mir selbst als zu den mich umgebenen Personen: „Hm, das mit den Wunden kriegen wir schon wieder hin. Allerdings könnten ein paar unschöne Narben bleiben.“

Der Mann starrte mich fragend an: „Was ist hier eigentlich los?“

„Ach, nichts Schlimmes, nur ein kleiner Irrtum. Kommen Sie jetzt!“

„Aber wohin denn?“

„Na, in den Himmel. Dorthin, wo Sie hingehören.“

„Aber... aber ich bin doch richtig hier.“

Ich schaute den Mann verdutzt an. So etwas war mir in den ganzen Jahrtausenden von Jahren, in denen ich meinen Job schon ausübte, noch nie passiert. Meistens ist es umgekehrt; die, die in die Hölle kommen beschweren sich.

„Tut mir leid, aber da ist kein Irrtum möglich. Wir haben das alles noch einmal ganz genau überprüft. Und jetzt kommen Sie endlich. Ich hab noch mehr zu tun, als hier unten zu warten, bis Sie sich endlich entschieden haben, mitzukommen.“

„Aber...“

„Einwand zwecklos,“ meldete sich Samiel jetzt zu Wort. „Geh endlich, bevor ich wütend werde. Ich hab nicht ewig Zeit.“

„Na gut, dann komme ich eben mit. Mal sehn, was ihr da oben zu bieten habt.“

Ich verabschiedete mich von Samiel, der zum Abschied jedoch nur grummelte und dann abzischte. Danach ging ich gemächlich zum Aufzug zwischen den Welten. Der Mann folgte mir. Am Aufzug angekommen, drückte ich den Knopf, der rechts von der Tür angebracht war. Wir mussten ziemlich lange warten, bis die Kabine des Aufzugs endlich unten war. Der Aufzug war schon lange Zeit nicht mehr modernisiert worden, obwohl er es bitter nötig hätte, wie auch der ganze Verwaltungsapparat und noch vieles andere mehr. Aber Gott ließ in dieser Hinsicht nicht mit sich reden. Angeblich fehlte dazu das Geld. Für die Einrichtung seines Hauses ist allerdings immer genug Geld da. Die besteht nämlich nur aus dem Besten und dem Modernsten. Natürlich wagt es jedoch niemand, ihn darauf anzusprechen.

Als die Kabine endlich angekommen war, öffnete sich die Tür und wir beide traten ein. Ich nutzte die Zeit, die wir in der Kabine verbrachten, für ein kleines Gespräch. „Sagen Sie mir doch bitte, warum Sie sich so vehement dagegen gewehrt haben, mit mir zu kommen. Wie kommen Sie denn auf die Idee, dass Sie in die Hölle gehören?“

„Weil ich gesündigt habe.“

„Aber das tut doch jeder mal. Deshalb kommt man doch nicht gleich in die Hölle. Solange Gott einem vergibt, ist das überhaupt nicht schlimm. Sie können eigentlich froh sein, endlich befreit zu sein von den ganzen Schmerzen, die Sie da unten ertragen mussten.“

„Man gewöhnt sich an alles,“ war das einzige, was er darauf antwortete. Dann wendete er seinen Blick von mir ab, um zu signalisieren, dass er kein Interesse hatte, das Gespräch fortzuführen.

Als die Kabine oben zum Stillstand gekommen und die Tür geöffnet war, verließen wir den Fahrstuhl. Ich beobachtete kurz meinen Begleiter und bemerkte, dass er sich interessiert in der Wolkenlandschaft, die nun vor ihm lag, umschaute. Sie war wie üblich angefüllt von netten Personen, die sich hier ihres Todes freuten. Jetzt war ich mir relativ sicher, dass er nicht mehr zurück in die Hölle wollte. Deshalb sagte ich zu ihm: „Sehen Sie, jetzt sind sie schließlich doch noch im Land des Glückes und der nie versiegenden Freude gelandet. Ich wünsche Ihnen viel Spaß hier oben, aber ich muss jetzt wieder an meine Arbeit.“

„Na, mal sehn, was man hier oben alles anstellen kann,“ meinte er grimmig, was mich ehrlich gesagt ein wenig verwunderte. Dann ging er davon und ich schaute ihm noch eine Weile erstaunt nach. Ich fand das ganze irgendwie merkwürdig, war mir aber sicher, dass er sich zumindest schnell einleben würde.

Gerade als ich auch weggehen wollte, bemerkte ich zu meinem Entsetzen, wie er sich an eine der Damen, die man hier überall antreffen konnte, heranmachte. Ich eilte schnell zu ihm, um Schlimmeres zu verhindern. Tatsächlich sprach er ziemlich unsittlich auf sie ein und benutzte dabei Worte, die ich hier gar nicht wiedergeben kann, ohne selbst zu sündigen.

„Was fällt Ihnen ein?“ fuhr ich den Mann an.

„Hey, ich will doch bloß ein bisschen Spaß haben,“ war seine unglaubliche Antwort, „und wie sollte man mehr Spaß haben, als wenn man so ne hübsche Tussi...“

Zum Glück konnte ich noch rechtzeitig verhindern, dass er den Satz zu Ende sprach, indem ich schnell „Halt!“ rief. Wer weiß, was für schlimme Worte er sonst noch benutzt hätte. „So was können Sie doch nicht machen. Das ist eine Sünde. Oder glauben Sie ernsthaft, dass etwas, das da unten auf der Erde verboten ist, hier oben gestattet wird.“

Er sah mich enttäuscht an. „OK, schon gut, dann such ich mir halt was anderes, was ich machen kann. Gibt’s hier oben irgendwo was zum Saufen.“

So sehr mich seine Ausdrucksweise auch störte, so sehr beglückte es mich auch, dass er jetzt endlich ein vernünftiges Thema ansprach. „Wenn Sie ungefähr hundert Schritte in diese Richtung gehen,“ ich zeigte mit meinem Finger Richtung Norden, „dann kommen Sie an die göttliche Quelle.“

Wieder einmal schaute er mich fragend an und irgend etwas in seinem Blick beunruhigte mich. Es war, als hätte er eine andere Antwort erwartet. Mit einer ein wenig enttäuschten Stimme fragte er mich: „Ja, schon gut, aber was gibt’s da zu Trinken?“

„Wasser der Freude und des himmlischen Glücks.“

„Ich will aber kein verdammtes Wasser, ich will was richtiges zum Saufen. Habt ihr hier oben keinen Alkohol?“

Alkohol! Das also war es, was er wollte. „Nein, tut mir leid, aber Sie werden sich hier oben mit dem Wasser begnügen müssen, aber ich kann Ihnen versichern, Sie haben bestimmt noch nie derart reines, sauberes...“

Er unterbrach mich: „Und wie steht’s mit Sachen wie Fernseher oder Computer oder so was?“

Ich schüttelte den Kopf. Er sah mich verzweifelt an und rang nach Luft, ehe er weiter sprach: „Habt ihr wenigstens was zum Rauchen, Gras oder meinetwegen auch bloß einfachen Tabak.“

„Bedaure, darauf werden Sie auch verzichten müssen.“

„Gibt’s denn hier oben überhaupt was, das Spaß macht.“

In dem Moment kam mir die rettende Idee, wie ich ihm den Aufenthalt hier oben ein wenig schmackhafter machen und dabei selbst noch ein wenig Spaß haben könnte. „Wir könnten zusammen das Halleluja singen.“

„NEIN!! Nein, das darf doch nicht war sein. Ich will wieder zurück in die Hölle. Dort durfte man wenigstens tun, was man wollte!“

Ich war sehr geschockt, als ich das hörte und auch grenzenlos enttäuscht von diesem Mann. Daher konnte ich nur mit eisiger Stimme antworten: „Das geht aber nicht! Sie haben keine Wahl, wo Sie hinkommen. Das entscheiden wir. Und wenn Ihnen das nicht passt, haben Sie eben Pech gehabt.“

Ich wandte mich von ihm ab und ging. Als ich ihm den Rücken zugekehrt hatte, hörte ich plötzlich einen Schrei, der sich immer weiter entfernte. Ich drehte mich wieder um. Der Mann war weg. Ich ging auf die Stelle zu, an der er gestanden hatte. Dort sah ich zu meiner Verwunderung ein Loch in der Wolkendecke. Ich kann bis heute nicht sagen, ob der Mann freiwillig gesprungen oder ob er versehentlich hinabgefallen war. Ich frage mich auch noch täglich, wo er denn gelandet war; auf der Erde, in der Hölle, im Nirgends? Nur eins kann ich mit Sicherheit sagen: Die Himmelsarchitekten können was erleben! Solche Patzer kann man sich doch nicht erlauben. Andererseits, jeder macht mal Fehler. Schließlich sagt man nicht umsonst: Irren ist himmlisch!


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